Nur bis zur Pause geblieben: Meine Begleitung benötigte einen Eindruck von Poetry Slams, das Ergebnis der ~Ausscheidung~ war uns nicht wesentlich. Aufgrund meiner Kenntnis, der einigermaßen zahlreichen Besuche von Poetry Slams, hätte sich der erste Eindruck nicht entscheidend geändert, wären wir länger geblieben.
Das kam mir in den Sinn: Frisch-Diktum von der Lyrik (TB 46-49, 537ff.), also:
– Äußerliche Umstände des Vortrags: Streichquartett, Vorhänge, Kerzen Oleander
– Materiales: Überholte Vor-Banale Metaphorik
– Materiales: Metrischer Duktus, Form insgesamt
– Vortrag alltagsenthoben, sprachlich nicht alltäglich
– "In-der-Welt-sein" des Gedichts
Eigentlich zielt das mehr auf den Vortrag als auf den Inhalt ab, da gibts zu viele Beispiele, die auch bei den Älteren, Ältesten, ohne Leu und Lilie auskommen, gerade Heine ist da gutes Beispiel.
Unterbrechen und Fortsetzen als Kriterium? Das hängt wohl mehr von der Rezeptionsfähigkeit ab: Wenn ich das Buch der Lieder verinnerlicht hab, wird es mir alltäglich, kommen mir selbst Vertonungen (dazu später) profan vor.
Könnte ich Gedichte wie Briefe _vor_lesen – welchen Sinn machte dann noch eine Unterscheidung zwischen Lyrik und Prosa? Man gibt sie auf, Ockham mags zufrieden sein, ein großer Sprachbrei, mal rhythmischer, mal nicht.
Was mir hier fehlt, ist der reizende, ja ätzende Dualismus zwischen dem gelesenen und dem gesprochenen Gedicht. Je mehr Menschen hören, wie sie sehen – konsumatorisch – desto mehr werden sie lesen wie sie hören. Was das Problem der Hörbücher darstellt: Die unterschiedliche Reflektion. Begründet mag sie sein im erhöhten Aufwand, den Gedanken nachgehen zu können: Das Hörbuch zu unterbrechen, ist schwieriger, als das Lesen zu unterbrechen. Einen Querverweis nachzuschlagen ist einfacher im Buch. Hier sind die Mechaniker weit entfernt von sinnvoller Machbarkeit. Vielleicht einmal der klingende eBook-Reader.
Aber da kommt das Interessante bei den Slams: Hier haben sich die "Subkulturen" (noch so ein zu zerfleddernder Begriff) von Pop-, Soul- und Rapmusikliebhabern und Dichterlesungfrustrierten, meist auch Fußball- resp. Sportbegeisterten, zusammengefunden.
Der Anlass ist löblich: Immerhin beschäftigen sich Menschen mit etwas, das sie für Lyrik halten. Thematisch ist die Auswahl erschreckend: Vieles bleibt jugendliche, pubertäre Selbstexpression. Der Herzschmerz, das Selbstbehauptenwollen/-müssen; die anderen als Spießer, das Wir der Werbemarken: Du auch Sinalco? Eben das lässt sich aber gut konsumieren, das sind die Gemeinplätze, die dann Grundlage einer teils atemberaubenden, aberwitzigen sprachlichen Artistik werden. Hier macht auf einmal der Binnenreim Spaß, weil er zwingend wirkt und über den Zwang zu einem anderen, unerwarteten Gemeinplatz führt.
Mir scheint dieses Genre weit näher am Kabarett der 1910er Jahre zu liegen, artifizielles Jonglieren mit Wörtern und Banalitäten, alles mit dem Künstlerduktus angehaucht. Das dann mit dem – zum Glück noch nicht völlig veramerikanisierten – fragwürdigen Nervenkitzel des Wettbewerbs, des Siegens, gar nicht so weit entfernt von den institutionalisierten Dichterpreisen, nur quasi-demokratisiert. Schrei am besten, dann siegst Du! Welch eine Grundlage für Lyrik.
Dass sich die Gedichte der Poetry Slams meist so miserabel lesen lassen (Ausnahmen vorhanden, z.B. Nora-Eugenie Gomringer), verwundert nicht besonders – die hörende und lesende Reflektion ist unterschiedlich; hörend – mehr konsumierend, weniger am Wort- als am Klanggedanken; lesend mehr die Inhalte entziffernd und enttäuscht über die Pubertätsbanalitäten.
Macht es uns wirklich alle zu Brüdern und Schwestern, dass wir Hunger haben, Essen und Verdauen müssen und mit bestimmten Markennamen aufgewachsen sind? Wenn schon nicht Mörike und Mozart, dann das?
******* Zum Programm *******
Lautstärke und Zigarettenrauch luden zudem wenig zum Verweilen ein. Ebensowenig die leicht manipulativen Unterbrechungen der Moderatoren – teils wurde der Applaus einfach unterbrochen, teils nicht.
(Ich scheine mich rechtfertigen zu müssen. Der stille Vorwurf, die Sprechartistik der anderen Teilnehmer nicht ausreichend gewürdigt zu haben).
Moderator war unter anderem Bas Böttcher, der zum gelackten Berufsjugendlichen mutiert, geschäftig, mit Schnauzbart wäre es ein R. Strauss par exemple.
Andy Ninvalle (NL – Ehrengast). Indiskutabel, höchstwahrscheinlich, weil auf Englisch.
Ken Yamamoto (Japan/D/F) – Mainzer (?), jedenfalls ist der Hinweis Japan/D/F irreführend, eindeutig ein Deutscher. Machts aber nochmal so interessant. Lyrik.
Bohdan Blahovec (CZ): Improvisiert, hätte die Fähigkeit, Massenhysterien auszulösen. Keine Lyrik.
Betti Synclar (CH): Traut sich mitzuteilen, dass auch sie eine Frau ist und Bedürfnisse hat, die sonst eher nur ein Mann äußert. Peinlich.
Antoine "Tô" Faure & Damien Noury (F): Artistik, sehr professionell. Ihr Hymnus an den Slam: Sie leben davon, das merkt man, die Dankbarkeit deshalb verständlich.
Orsolya Karafyiath (HU) – Trat mit "Kult-Schlagersängerin" auf. Peinlich, resp. bemüht und auch noch peinlich.
Sara Ventroni (I) – Wenn ichs recht verstand, lamentierte sie ziemlich lang darob, dass niemand sie verstehen könne und was da alles zu sagen wär. Eindrücklich.
Salena Godden (UK) – Selbstverliebt, selbstüberheblich, keine Lyrik.
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